SPLITTERWERK1 FORDERN NEUBAUSTOPP!2 Der anthropozäne3 Ressourcenverbrauch muss beendet werden. Wir rufen Architekt*innen als Expert*innen der Zivilgesellschaft auf, ausnahmslos keine Neubauten mehr zu entwerfen, zu planen, zu genehmigen oder zu realisieren. Startet jetzt damit dementsprechende Aufträge abzulehnen oder leistet zivilen Ungehorsam. Sprecht Euch laut und deutlich gegen ein zuwiderhandeln Dritter aus. Wirkt mit uns auf Politik, Verwaltung, Berufsvertretung und Expert*innen anderer Fachrichtungen ein und drängt auf ein Erarbeiten und Inkrafttreten der entsprechenden Gesetze und Verordnungen. Starten wir unverzüglich und unter Beachtung der geo-sozialen Frage4 mit architektonischen Konzepten zur Transformation der Critical Zone5, und leisten wir so unseren fachspezifischen Beitrag zur Erhaltung des terrestrischen Ökosystems. Kartieren wir gemeinsam einerseits noch bestehende Naturräume und andererseits anthropozäne Zonen wie z.B. Siedlungs-, Land- und Forstwirtschaftszonen. Definieren wir weltweit zusammenhängende Baustoppzonen und Rückbauzonen6 zugunsten von Naturschutzzonen. Erarbeiten wir detaillierte Kataster über Zonen der Bauerhaltung, -sanierung, -verdichtung, -transformation und Renaturierung. Tragen wir als Achitekt*innen mit Zivilcourage und unserem Expert*innenwissen in Raum-, Städteplanung und Architektur zu einem Ausgleich im Trilemma der Landnutzung7 entschieden bei und wirken so den bestehenden Nutzungskonkurrenzen von Siedlungsdruck, Ernährungssicherung, Klimaschutz und Biodiversitätserhaltung entgegen. Beschließen wir als Expert*innen ein allgemeines Neubau- und Ersatzneubauverbot mit sofortiger Wirkung.
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Das Kollektiv SPLITTERWERK besteht mittlerweile seit über 30 Jahren und besetzt international eine eigenständige Position innerhalb der zeitgenössischen Architektur. In Ihren Arbeiten hinterfragen SPLITTERWERK kritisch die Paradigmen der Moderne, formulieren Antworten auf die neue geo-soziale Frage des 21. Jahrhunderts und entwerfen Visionen für die Große Transformation. Von Beginn an forschen SPLITTERWERK im Spannungsfeld von Wissenschaft und Kunst mit Fokus auf die bildenden Künste. Im Sinne eines erweiterten Kunstbegriffs arbeiten sie, transdisziplinär an Projekten zwischen Malerei und Grafik, Performance und Installation sowie Architektur, Urbanistik und Neue Medien. SPLITTERWERKs Arbeiten handeln in exemplarischer Weise von der zunehmenden Verschränkung gebauter und medialer Räume. Im Zentrum steht dabei der Begriff der Kommunikation als deren thematisch integraler Bestandteil. In ihrem We Change The World Project orientieren sich SPLITTERWERK an zukunftsweisenden Gesellschaftsmodellen und hinterfragen kritisch überkommene Unterscheidungen wie links und rechts, fortschrittlich und reaktionär, global und lokal. Ihre Konzeptionen, Planungen und Realisierungen in unterschiedlichsten Dimensionen und Maßstäben handeln über das Teilen einer gemeinsamen, ökologisch stabilen Erde und über das Überwinden der modernistischen Trennung in Natur-, Agrar- und Siedlungsräume. Seit den späten 80ern fordern SPLITTERWERK in ihren städtebaulichen Projekten weltweite Baustoppzonen und Rückbauzonen zugunsten von Naturschutzzonen mit hoher Biodiversität ein. Das Teilen von Raum und die mit dem Trilemma der Landnutzung verbundenen notwendigen Änderungen in der Raumordnung sind darüber hinaus eines der Forschungsfelder im Reallabor Space Sharing am Lehrstuhl für Wohnbau, Grundlagen und Entwerfen der Staatlichen Akademie der bildenden Künste Stuttgart.
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SPLITTERWERK FORDERN NEUBAUSTOPP ist eine vom Kunsthaus Graz beauftragte Soziale Plastik zur multimedialen Präsenz im öffentlichen Raum. Die Arbeit besteht aus einem physischen und einem virtuellen Teil. Sechs Tafeln aus Wellkarton, je 140 x 140 cm, tragen in roter Acrylfarbe die Schriftzüge „SPLITT“, „ERWER“, „K FORD“, „ERN N“, „EUBAU“ und „STOPP“. Die dazu verwendeten Materialien stammen ausnahmslos aus den Lagerbeständen von SPLITTERWERK und wurden allesamt einem Upcyclingverfahren unterzogen. Die Webseite mit der Domain „WWW. SPLITTERWERK-FORDERN-NEUBAUSTOPP.AT“ bildet einen Text mit der Forderung nach sofortiger Einführung von Baustopp- und Rückbauzonen ab und beinhaltet weiterführende Links zum Thema WE CHANGE THE WORLD PROJECT. SPLITTERWERK behaupten mit The Graz Pop Up Tour 2021 ihre Soziale Plastik zwischen dem 28. Jänner und 9. Februar an sechs verschiedenen Orten in Graz gesehen zu haben. Weitere Sichtungen sind in Planung. Die Installationen erfolgen auf Basis des Versammlungsrechts gleich unangemeldeter Demonstrationen. Der aus tafeltragenden Menschen bestehende physische Teil der Sozialen Plastik ist demnach im höchsten Grad performativ, mobil, temporär und ephemer. „So vermeiden wir langwierige Kommunikationsprozesse, Planungen und Verfahren mit unsicherem Ausgang. Wir handeln - Jetzt!“, erklären SPLITTERWERK und fügen hinzu, dass sie die Versammlungen nicht dokumentieren. Ganz anders verhält es sich mit den beschrifteten Wellkartontafeln. Die Arbeit vermag sozusagen ihren Aggregatzustand zu wechseln und die Installationen im öffentlichen Stadtraum in Dokumentationen ihrer selbst in Räumen der Kunst zu transformieren. Dazu falten sich die sechs Tableaus in sechs Boxen, je 62 x 40 x 20 cm, deren Innenseiten die beschrifteten Tafeln gleichsam bilden und schützen und auf deren Außenseiten die Projektdaten auf Etiketten achiffiert sind. Übereinandergestapelt formen sie einem Turm von 120 cm Höhe, der nun gleichzeitig als Archiv, Dokumentation und weiterhin als Soziale Plastik, so zu sehen im Kunsthaus Graz im Rahmen der Ausstellung „STEIERMARK SCHAU: was sein wird. Von der Zukunft zu den Zukünften“.
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anthropozän (vgl. anthropozentrisch), Adjektiv von Anthropozän, das; Paul Crutzen, Eugen F. Störmer, IGBP Newsletter 41, 2000
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geo-soziale Frage, Bruno Latour, Das terrestrische Manifest, edition suhrkamp, Suhrkamp Verlag Berlin, 2018
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Critical Zone, Bruno Latour, Das terrestrische Manifest, edition suhrkamp, Suhrkamp Verlag Berlin, 2018
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Baustoppzonen und Rückbauzonen, SPLITTERWERK, Graz – Stadt an der Mur, Institut für Städtebau, Umweltgestaltung und Denkmalpflege, Technische Universität Graz, 1988
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Trilemma der Landnutzung, Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen, Landwende im Anthropozän: Von der Konkurrenz zur Integration, Hauptbericht, WBGU Berlin, 2020
Weiterführende Links:
SPLITTERWERK
THE BAUKUNST STUDIO
REALLABOR SPACE SHARING
KUNSTHAUS GRAZ
STEIERMARK SCHAU